„Um zu erfahren was für ein gutes Leben relevant ist, braucht es alte Elefanten“, sagte der Dorfälteste aus dem Stamm der Zulus in Südafrika. In einem Nationalpark waren Elefanten zu gefährlichen Rowdys geworden. Die Ältesten jedoch verstanden dieses Verhalten als eine Frage und fanden eine überraschende und einfache Lösung.

Was war geschehen?

Michael Vogler
Wild gewordene Elefanten

Es geschah im ältesten Tierreservat Afrikas, dem Hluhluwe-iMfolozi Park. Dort gab es zwar viele Touristen, aber keine Elefanten. Also beschloss die Parkverwaltung einige kräftige, junge Tiere aus anderen Gegenden herzubringen, in denen die Dickhäuter überhand genommen hatten. Sie sollten nun eine Herde bilden und sich von den Touristen fotografieren lassen.

Aber das funktionierte nicht. Die Tiere wurden wild und aggressiv. Sie richteten gewaltige Flurschäden an, verletzten sich gegenseitig und töteten eines der extrem seltenen Nashörner. Das Schlimmste aber war, dass sie die Autos der Safari-Touristen gezielt angriffen. In dieser Notsituation entschlossen sich die Ranger zu einem dramatischen Schritt: die Elefanten sollten zum Abschuss freigegeben werden.

Da fehlt ein Ältester

Einem der Ranger ist es zu verdanken, dass es nicht zum Schlimmsten kam. Er fuhr in ein nahes Zulu-Dorf und bat die Ältesten des Dorfes um Rat. "Da fehlt ein Ältester", meinten diese nur knapp. 

Zurück in der Zentrale berichtete der Mann von diesem Gespräch und man beschloss, den wild gewordenen Tieren noch eine letzte Chance zu geben.

Ein weiterer Elefant wurde also hergebracht, diesmal ein älteres Tier. Man erwartete, dass dieser alte Elefant das Rowdytum nicht erlauben und den Jüngeren Manieren beibringen würde. Aber er stand nur ruhig herum und widmete seine Aufmerksamkeit ausschließlich frischem Gras und grünen Blättern.

Das Wunder des Vorbildes

Gerade als sich Enttäuschung unter den Parkwächtern auszubreiten begann, fiel ihnen auf, dass sich die Situation beruhigte. Es war wie ein Wunder: plötzlich benahmen sich alle Elefanten ganz normal. So als ob nie etwas geschehen wäre.

Die verwunderten Ranger verstanden nicht, was diesen Sinneswandel bewirkt hatte. Also fuhren sie alle zusammen zu den Ältesten der Zulus und baten diese um eine Erklärung.

Das Rowdytum war eine Frage

„Das ist ganz einfach“, hieß es dort. „Den jungen Elefanten hat einfach nur das Bild dafür gefehlt, wie man sich als ordentlicher erwachsener Elefant benimmt.  Weil dieses Bild fehlte, hatten sie keine Orientierung. Ohne ein solches Bild vor Augen, tappen junge Elefanten blind ins Leben.

Die jungen Rowdys, so führte der alte Mann aus, wollten eigentlich nur wissen was es ausmacht, ein ordentlicher Elefant zu sein. Als eine vernünftige Antwort ausblieb, wurden sie unnsicher und ängstlich. Unerfahren wie sie waren, glaubten sie sich bedroht. Um sich ein wenig Sicherheit zu verschaffen, wurden sie aggressiv. Etwas Besseres fiel ihnen nicht ein. Die Aggression sei nur die Folge ihrer Orientierungssuche gewesen. Im alten Elefanten erkannten sie, dass es auch anders geht. So wurde der alte Elefant zum Vermittler von Orientierung und wurde zum Vorbild.

Wir Menschen sind genauso

Am Ende des Gespräches sagten die Ältesten: "Und wir Menschen sind genau so!" Auch bei uns Menschen beobachten junge Leute die Älteren ganz genau und ziehen aus deren Verhalten Schlüsse für sich selbst. „Die Kraft zum Lernen kommt immer von den Jungen, die Verantwortung dafür, ein brauchbares Vorbild abzugeben, liegt bei uns Älteren“, sagten sie noch zum Abschied.

Jüngere haben Kraft, Ältere Verantwortung

Angesichts dieser Geschichte stellt sich die Frage, ob wir, als ältere Generation, in diesem Sinne wirklich immer gute Vorbilder sind? Sind wir Älteren der großen Wirkung bewusst, die von uns ausgeht, ohne dass wir es selbst bemerken? Geben wir ein gutes Beispiel dafür ab, wie Leben gelingen kann? Leben wir Gelassenheit und jene Art von Verantwortung vor, von der die Ältesten der Zulus sprachen?

Es sind viele Fragen, die sich aus dieser Geschichte ableiten lassen. Keine davon stand in einem Lehrplan. Angesichts der drängenden gesellschaftlichen Probleme, wäre es hoch an der Zeit sich damit ernsthaft zu beschäftigen.

 

Der Artikel ist auch erschienen unter: https://www.stadtdesmiteinanders.at/2021/09/21/wie-junge-elefanten-von-aelteren-das-leben-lernen/