Innovation, Engagement, Eigenverantwortung und Loyalität gehören zu den beliebtesten Themen im Management-Sprech. Dahinter verbirgt sich häufig aber etwas ganz anderes, das die Erfüllung dieses Anspruchs zuverlässig verhindert.
„Mein Sohn ist in einer Prüfung durchgefallen. Dass er sich nur nichts antut!“, klagt eine Mutter. Ihr anderer Sprössling wurde gerade von seiner Freundin verlassen. Nun fürchtet die Mutter, dass er nie wieder eine finden wird. Und ihr Mann geht auch nicht gern in die Arbeit. Wie soll das nur werden? So schnell sprudeln Schrecknisse möglicher Zukünfte aus ihr heraus, dass es schwierig ist, ihr zu folgen. Das ist auch nicht unbedingt erforderlich, denn wirkliche Katastrophen sind das alles nicht.
Da fällt mir ein Satz von Baruch Spinoza (1632-1677) ein: „Das was Paul über den Peter sagt, sagt mehr über den Paul aus als über den Peter.“
Was also sagt diese Mutter über sich? Durch den Schleier all der Klagen wird erkennbar, dass sie in Wahrheit nur ihre eigene Unersetzbarkeit unterstreicht. Über die Familie erfahre ich wenig. Viel aber über ihre Selbstaufopferung, für die sie nun Anerkennung von mir verlangt. An wirklicher Änderung ist ihr nicht gelegen.
Die Pauls dieser Welt erzählen immer am meisten über sich selbst!
In einem Unternehmen, dessen Name meiner Erinnerung entflieht, wurde vor nicht allzu langer Zeit eine Befragung unter den Mitarbeitern durchgeführt. Dem Management war Erosion des Engagements in der Belegschaft vorgeworfen worden. Die Befragung sollte die Unhaltbarkeit dieser Behauptung belegen. Das ging schief, denn das Ergebnis war katastrophal. Die Mitarbeiter hatten die Gelegenheit benutzt um mit dem Unternehmen abzurechnen. Sie wollten klarmachen, dass es ihnen schlecht geht und eigentlich verlangten sie bessere Behandlung vom Unternehmen.
Das obere Management erschrak. Schnell wurde die Schuld beim mittleren Management gefunden. Es verdichtete sich die Ansicht, die Abteilungsleiter sprächen nicht genug mit ihren Leuten. An sie erging also der diffuse Auftrag zu mehr Kommunikation, die Befragung sollte mit besserem Ergebnis ein paar Monate später wiederholt werden. Das aktuelle Ergebnis verschwand in der Schublade.
Was sagt der Paul, der in diesen Menschen wohnt, hier über sich selbst?
Paul, der Mitarbeiter erwartet vom Management die Verbesserung der Situation.
Der Vorstand Paul hält das nicht für seine Aufgabe, delegiert die Führungsverantwortung an das mittlere Management und begnügt sich mit der Erwartung termingerechter Verbesserung.
Und Mutter Paula verlangt von ihrer Familie, sich gefälligst so zu verhalten, dass sie sich keine Sorgen zu machen braucht.
Allen ist gemeinsam, dass sie sich selbst als unschuldige Opfer einer Situation fühlen, die von anderen hervorgerufen wurde. Sie alle konstruieren andere als Verantwortliche, die sie flugs zur Lösung verpflichten.
Niemand ist an einer Lösung interessiert
Alle ziehen Nutzen aus der Situation: Die Mutter verankert ihre eigene Unersetzlichkeit in der Familie, die Mitarbeiter fühlen sich als Gemeinschaft und brauchen nicht mitzudenken und das Topmanagement stabilisiert sein Überlegenheitsgefühl und kann sich auf Weisungsgewalt zurückziehen.
Keiner spricht von der eigenen Möglichkeit auf die Situation Einfluss zu nehmen. Verantwortung zu vermeiden ist die versteckte Agenda hinter diesen Geschichten. Am Horizont zeigt sich aber keine Morgenröte der Lösungen. Das geschmeidige Ausweichen erzeugt sinnlose Hektik. Der Wettlauf um die beste Position in der Olympiade der Opfer simuliert zwar kurzfristig Erleichterung. Am Ende aber führt er unweigerlich in den Abgrund der Erstarrung.
Ja, wenn der Paul nicht wäre, dann könnten wir wohl weiter daran glauben, dass es wirklich um Leistung, Kreativität, Engagement, gemeinsam-an-einem-Strang-Ziehen ginge … und daran, dass Zitronenfalter am liebsten Zitronen falten…