Unser Geist wird ständig gefüttert. Meistens mit negativen Nachrichten, Eindrücken und Meinungen. Angst ist unter Kindern und Jugendlichen so verbreitet, wie man es in den Sechzigern nur von Insassen der Psychiatrie gekannt hat. Dabei wäre es garnicht so schwer, daran etwas zu ändern. Wie das geht, zeigt eine kleine Geschichte.
Im Kaffeehaus. Am Nebentisch sitzen zwei ältere Damen. Ihre Unterhaltung ist etwas laut, sodass ich zum Zuhören gezwungen bin: Die eine der beide wirkt bedrückt. Sie hat Enkel und macht sich Sorgen über deren Zukunft.
„Alles wird immer schlimmer,“ sagt sie. Alles wird teurer, die Leute werden immer unfreundlicher und am Abend kann man nicht mehr alleine spazieren gehen, so klagt sie. Still denke ich mir, dass die gute alte Zeit immer schon verklärt worden ist. Das ist eine lieb gewordene Tradition.
Brandstifter
Da aber schwenkt die Unterhaltung plötzlich in die Weltpolitik. Überall auf der Welt würden Politiker sich wie Brandstifter verhalten. „Das hat vor achtzig Jahren auch so angefangen“, fürchtet die alte Dame.
Die andere, offenbar eine lange nicht mehr gesehene Freundin, hört lange und ruhig zu. Sie lächelt voller Verständnis. Schließlich sagt sie: „Ja, die Zeit ist nicht einfach. Aber du musst auch sehen, dass es an uns selbst liegt, das zu ändern. Solange wir nur klagen und uns ängstigen, wird es immer schlimmer werden.“
Darauf die Sorgenvolle: „Wir können doch gar nichts machen. Hast Du denn keine Angst?“
„Nein“, meint die andere, „das tue ich mir nicht selber an. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber.“
Angst ist ein schlechter Ratgeber
In diesem Moment kommt der Kellner zu mir. Er bringt Kaffee. Mir entgehen ein paar Sätze aus der Unterhaltung am Nebentisch. Dann höre ich, wie die Gelassenere der beiden eine kleine Geschichte erzählt.
Eines Abends, so beginnt sie, saß der alte Häuptling mit seinem Enkel am Lagerfeuer. Der Kleine erzählte seinem Großvater von den Erlebnissen des Tages, darunter auch von einem Streit mit einem anderen Jungen. Man merkte ihmm jetzt noch den Zorn an. Geduldig hörte der Großvater zu und blickte dabei in das Feuer. Lange schwieg er.
Schließlich sah er den Jungen an und sprach: „Du musst wissen, dass in jedem Menschen zwei Wölfe miteinander kämpfen. Der eine ist voller Zorn, Neid, Missgunst, Kummer, Gier, Selbstmitleid, Schuld und Minderwertigkeit. Der andere ist voll Freude, Hoffnung, Gelassenheit, Freundlichkeit, Leidenschaft und Wohlwollen. Dieser Kampf findet in dir statt, so wie in jedem anderen Menschen.“ Dann schwieg er wieder.
Da fragte der Enkel: „Und welcher Wolf gewinnt den Kampf?“
Der alte Häuptling stocherte ein wenig in der Glut, ehe er antwortete: „Der, den du fütterst!“
Welchen Wolf füttern wir?
Die Geschichte fasziniert mich. Welchen Wolf füttern wir eigentlich, wenn wir uns ständig Ängste einreden lassen? Wenn wir uns verhalten, als wären wir unablässig von blutrünstigen Bestien umkreist? Wenn wir unsere Gelassenheit verlieren und reagieren, wie ein aufgeschreckter Haufen Sperlinge?
Das Gespräch nebenan nehme ich kaum noch wahr. Zu sehr beschäftigt mich die Geschichte vom guten Wolf.
Erwachsene lachen nur zwanzig Mal am Tag. Kinder hingegen vierhundert Mal und mehr. Irgendwie ist uns das Lachen abhanden gekommen. Vielleicht sind wir zu ernst geworden, um den guten Wolf füttern zu können?
Aufmerksamkeit kann man führen
In anderen Gegenden der Welt ist man fröhlicher. Im Süden, zum Beispiel, treffen sich die Leute abends am Dorfplatz. Sie reden miteinander und lachen, genießen den Moment und füttern gemeinsam den guten Wolf. Sie wissen noch, wie man das macht. Die Menschen in südlicheren Ländern richten ihre Aufmerksamkeit häufiger auf die positiven Dinge des Lebens.
Ist das vielleicht der Grund, weswegen wir so gerne im Süden Urlaub machen? Der Wunsch zur Ruhe kommen zu wollen, ist jedenfalls der mit Abstand wichtigste Grund für die Wahl des Urlaubszieles.
Nachdenklich geworden erinnere ich mich an einen alten Spruch. Er lautet: Wo deine Aufmerksamkeit ist, liegt deine größte Kraft. Ich beschließe meinen guten Wolf zu füttern, zahle und trete hinaus auf die Straße.
Erschienen in "Tullnerfelder Kulturmagazin", Mai 2017
Kommentare
Kannst Du kurz offenlegen, wie Du zu dieser Einschätzung kommst?
Zwei Dinge sind klar:
Erstens nimmt die Zahl der von Angstörungen, Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen zu. Wir sprechen von etwa 20% der Bevölkerung in Europa. Die Angst vor dem Scheitern wächst allgemein (u.a. Raffael Kahlisch). Das sehe ich auch in meiner täglichen Arbeit bestätigt.
Zweitens enthüllen die verschiedenen großen Jugendstudien der letzten Jahre ein Niveau der Zukunftsangst bei jungen Menschen, wie man es noch vor wenigen Jahrzehnten nicht gekannt hat. Paradoxerweise häufig gepaart mit der Überzeugung es selbst irgendwie schaffen zu können.
Aber es fehlt dramatisch an Perspektiven.
"Wissen Sie, wir haben in unserem ganzen Leben nie etwas anderes zu hören bekommen, als Krise, Krise, Krise, Krise", sagte mir vor einigen Jahren ein junger Mann, Jahrgang 1990. Mehrjährige Überprüfung aus verschiedenstem Umfeld bestätigte seine Einschätzung. Gespräche mit Neurophysiologen, Psychiatern und Therapeuten zeigten, dass die veränderte mentale Ausgangssituation für junge Menschen sich auch in der "Verdrahtung" des Gehirns niederschlage. Die dadurch veränderte Wahrnehmung führe zu anderen Handlungsmöglichkeiten, bzw. kanalisiere sie völlig anders.
Daraus ergibt sich ein Handlungsauftrag, vor allem für die Ältere Generation. Um diesen geht es mir. (siehe auch Blogbeitrag: "Führungskräfte sind „Älteste“ – ob sie wollen oder nicht")
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