Die attraktivsten Urlaubsorte sind solche, an denen man das Leben spürt. Menschen stehen beieinander und unterhalten sich. Am Markt summt ein freundliches und fröhliches Gewirr von Stimmen. In Cafes und auf Terrassen unterhalten sich Menschen. Überall lächelnde Gesichter. Man wird freundlich gegrüßt, auch wenn man hier fremd ist. Sofort fühlt man sich wohl.
All diese kleinen Begebenheiten und Erlebnisse vermitteln die Botschaft, dass man aufeinander achtet. Man hat den Eindruck, dass jeder wichtig ist. Missgunst, Gier und Neid haben keinen Platz. Alle werden gebraucht und vor allem anderen nach ihren Stärken und Qualitäten beurteilt.
Die Attraktivität von Orten
Eine Stadt des Miteinanders lebt von der Vielfalt der Stärken der Menschen, die hier wohnen und leben. Es ist das fruchtbare Zusammenspiel unterschiedlicher Fähigkeiten und Qualitäten, die das Lebensgefühl in einer Stadt ausmachen.
Attraktiv werden Orte, wenn sie das Gefühl von Gemeinschaft vermitteln. Hier lebt und arbeitet man gerne. Solche Orte sind Anziehungspunkte. Hier will man sein.
(Analog gilt dasselbe auch für Unternehmen, Vereine, Schulen und jede andere Art von sozialer Einheit.)
Gehgeschwindigkeit – Indikator für Lebensgefühl
Wie anders fühlen sich dagegen Orte an, in denen ein anderer Wind weht. Wo gehetzt und geschoben wird. Wo die Menschen den Blickkontakt vermeiden und kreuz und quer aneinander vorbei laufen. Wo man nur wenige Menschen sieht, die entspannt miteinander reden. Wo der Eindruck entsteht, alle würden in der Furcht leben, etwas zu versäumen. Wo die Gehgeschwindigkeit so hoch ist, dass keine Zeit bleibt für das Leben, wie der Psychologe Richard Wiseman zeigte.
Solche Orte wirken seltsam kalt. Hier will man nicht verweilen. Auch wenn die Straßen sauber, die Häuser gepflegt und überall Blumenkästen zu sehen sind, wirkt eine solche Stadt seltsam museal und leblos.
Was ist uns eigentlich wichtig?
Der Unterschied liegt in der grundlegenden Lebenshaltung der Menschen. Was hält man für wichtig? Geht es primär um den gestressten Nachweis von Effizienz und Status oder eher um Beziehungen und Lebensqualität?
Erstaunlicherweise sind entspannte Gemeinschaften wirtschaftlich, politisch und sozial deutlich erfolgreicher, als gehetzte Ballungszentren, wie Robert Putnam nachgewiesen hat. Denn sie pflegen partnerschaftliche Beziehungen, sind geschmeidiger in nachbarschaftlicher Kooperation, gesünder und glücklicher. Solche Gemeinschaften schneiden in allen Lebensbereichen besser ab.
Das Geheimnis des Blickwinkels
Um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, was die Bürger solcher Orte denn tun, um dieses Lebensgefühl entstehen zu lassen, darf man sich nicht an Oberflächlichkeiten orientieren. Beim aufmerksamen Zuhören wird man feststellen, dass sie auf besondere Weise über sich, die anderen und die Gemeinschaft sprechen.
Das Rätsel ist verblüffend einfach zu lösen: der vorwiegende Blickwinkel in diesen Gesprächen richtet sich auf Stärken. Was hat ein anderer oder eine andere gut gemacht? Wer hat wo geholfen? Wo gab es neue Ideen? Wo wurden Probleme gelöst und wie? Was könnten wir tun? Worauf könnten wir unseren Blick richten, damit wir gemeinsam positiv weiter kommen?
Anerkennung, Bestätigung, neidlose Bewunderung
Der Neuigkeitswert von Geschichten orientiert sich viel weniger am Fehlverhalten anderer, sondern an ihrem Potenzial, ihren Fähigkeiten, ihrem Wissen und ihrem Können. Mehr noch: es wird ausgesprochen und damit verbreitet sich ein Klima der Anerkennung, Bestätigung, vielleicht sogar der neidlosen Bewunderung. Stärken werden hier gestärkt!
Das ist sehr seltsam für jemanden, der aus einer Kultur der ständigen Kritik kommt. Aber es fühlt sich unglaublich gut an. Man fühlt sich sofort angenommen.
Das Universum der Stärkung
Fokussiert sich der Blick auf Stärken, betritt man ein Universum, das ganz andere Folgen hervorbringt, sowohl bei sich selbst, als auch bei anderen. Nach und nach verändert sich auch das Klima in einer Gemeinschaft.
Wir leben in einer Kultur, wo uns häufig Fehler und Schwächen nachgewiesen werden. In der Schule reichte unsere Anstrengung kaum jemals aus, im Beruf bekommt man mitgeteilt, was man alles hätte besser machen sollen. Auch die Werbung versorgt uns mit dem Wissen, immer noch nicht genug konsumiert zu haben. All das hält uns in einem ständigen Gefühl mangelnder Befriedigung, Verunsicherung und wenn es schlimm wird, auch von Verängstigung.
Warum nicht anders?
Wie wäre es nun, wenn jemand käme, der unsere Seele streicheln würde durch Bestätigung und Anerkennung? Der vielleicht Stärken an uns entdeckt, die wir selbst noch gar nicht wahrgenommen haben?
Die Antwort ist: wir würden uns freuen. Glückshormone würden unseren Körper durchströmen und wir würden diesen Menschen sofort mögen. Und – seien wir ehrlich – würde er oder sie uns nun um einen Gefallen bitten, wären wir gerne bereit zu helfen.
Man tut sich selbst Gutes
Andere anzuerkennen und ihnen damit eine Freude zu machen, freut nicht nur den anderen. Sie wirkt auch zurück auf einen selbst. Wer anderen ein Lächeln ins Gesicht zaubert, der handelt. Er erlebt, was Aufmerksamkeit und Worte bewirken. Das Gefühl von Selbstwirksamkeit – so der psychologische Fachbegriff jener Schwester des Glücksgefühls – steigt stark an.
Dieses Spiel kennt nur Gewinner
In diesem Spiel gibt es nur Gewinner. Wo Menschen sich gegenseitig positiv begegnen gibt es keine Verlierer. Und wenn dieses Spiel der Stärkung zu einer lebendigen Umgangsform in einer Gemeinde wird, entstehen ungeahnte Kräfte, welche die Gemeinschaft stärken. Das ist eine so ganz andere Welt, als jene des üblichen Spiels wechselseitiger Kritik!
Anais Nin hat einmal gesagt, dass wir die Dinge nicht so sehen, wie sie sind, sondern so, wie WIR sind. Wie wir sind, ist eine Haltung. Und es ist eine Entscheidung. Diese Entscheidung hat nichts mit einer rosaroten Brille zu tun. Schmerzhaftes und Negatives gibt es natürlich. Die Frage ist nur, ob man sich davon dominieren lässt, oder ob es gelingt trotz allem auf Positives zu achten und vorhandene Stärken aufzuspüren und sie zu stärken.
(Der Artikel erschien auch in der "Stadt des Miteinanders":
https://www.stadtdesmiteinanders.at/2021/03/10/vergesst-schwaechen-achtet-auf-eure-staerken/