Die Kultur einer Organisation ist im sogenannten Narrativ verankert. Wer im Unternehmen Grundlegendes verändern will, ist gut beraten, die Regeln und Gesetzmäßigkeiten des Narrativs zu beachten.
Kultur ist ein Phänomen kollektiver Kommunikation. Im Gespräch erst erhalten Dinge, Meinungen und Verordnungen ihre Bedeutung. Die Trias dessen was für wahr, gut und schön gehalten wird, lebt in Ihm ebenso fort, wie die Vorstellung von dem, was als Übel gilt.
Jede Gemeinschaft hat ihre eigene Kultur. Und jede Kultur verankert im sogenannten Narrativ ihre Regeln, Werthaltungen und Zuschreibungen von Bedeutungen. Die wichtigste Aufgabe eines Narrativs ist die Erzeugung von Zugehörigkeit und Sinn.
Erzählgemeinschaften
Im Grundsummen der vielen Gespräche entstehen Gefühle, Bestätigungen und Gerüchte. Dieser Prozess organisiert sich selbst. Weisungen und sozialtechnische Verfahren sind daher nicht in der Lange, dieses Summen zu kontrollieren.
Klassisch ausgebildete Führungskräfte sind gewohnt ihre Umwelt mit Machtmitteln zu steuern. Selbstorganisierende Systeme und Organismen, wie Kulturen das darstellen, sind für sie ein Gräuel und bereiten ihnen Angst.
Kollision mit dem Narrativ- ein Beispiel
Nicht ohne Grund, wie das Beispiel des Direktors eines größeren Unternehmens zeigte, der meinte „frischen Wind“ in das Unternehmen bringen zu müssen. Für ihn galten nur Zahlen. Nun ist es selbstverständlich nicht falsch darauf zu achten, dass die Zahlen stimmen. Er aber gab einfach Ziele vor, die nicht in den bisherigen Wertekanon passten und ihm widersprachen.
Was nicht im Narrativ enthalten ist, bleibt unverstanden
Weil diese Begrifflichkeit in der Kultur des Hauses aber bisher nicht vorgekommen war, verstanden die Mitarbeiter, inklusive des mittleren Managements, überhaupt nicht, was er wollte. So bezogen sie die Änderung auf sich selbst und verstanden sie als Kritik an ihrer bisherigen Leistung. Sie fühlten sich nicht ernst genommen und gedemütigt. Schlimmer: aus ihrer Sicht sah das wie der Vorwurf aus, sie hätten „bisher falsch gelebt“, wie einer von ihnen es formulierte.
Unverzüglich formierte sich Auflehnung und der Direktor bekam es mit dem geschlossenen Widerstand der Belegschaft zu tun. Seine Wünsche wurden verschleppt und konsequent uminterpretiert, sodass seine Bemühungen regelmäßig ins Leere liefen. Er selbst bekam Beinamen wie „der Unaussprechliche“. Der Direktor wurde narrativ zum „Satan im Chefsessel“ umkodiert. Als er dann zu Machtmitteln griff, um sich dennoch durchzusetzen, erreichte die Auflehnung ihren Höhepunkt.
Am Ende bekam er einen Herzinfarkt und wurde von der Konzernspitze seines Amtes enthoben.
Was ist schief gelaufen?
Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte der neue Direktor das Selbstverständnis der Erzählgemeinschaft angegriffen. Wäre er nicht der Direktor gewesen, hätte man ihn gar nicht beachtet. Seine Position aber verlieh ihm Macht. Als er die Deutungshoheit im Hause für sich allein beanspruchte, war die Gegenreaktion ebenso mächtig.
Die Folge war ein Machtkampf, den er nur verlieren konnte.
Geschichten dieser Art sind häufig – wenn auch ihr Verlauf nicht immer so dramatisch ist. Gemeinsam ist ihnen allen die Kollision mit der bestehenden Organisationskultur. Wird diese herausgefordert, reagiert sie mit der Macht ihres Narrativs.
Die entstehenden Widerstände hinterlassen immer verbrannte Erde. Sie lösen die Autorität der verantwortlichen Führungskräfte auf und ruinieren nachhaltig deren Führungswirkung. Zeit, Energie und Geld werden vernichtet.
All das müsste nicht sein
Glücklicherweise geht es auch einfacher – und vor allem erfolgreicher.
Eine alte Weisheit sagt, kein König könne auf Dauer gegen das Volk regieren.
Der Direktor in unserer Geschichte wäre gut beraten gewesen, wenn er die Regeln des Narrativs beachtet hätte. Gehen wir einmal davon aus, dass seine Ziele wirklich die besten aller möglichen Lösungen für eine gegebene Situation gewesen wären.
- Der erste Schritt hätte darin bestehen müssen, sich darüber klar zu werden, worüber die Leute sprechen, was ihnen wert und wichtig ist und nach welchen Kriterien sie sich selbst bewerten. Das Zaubermittel, um hier eine gute Vorstellung zu erhalten, wäre intensives Zuhören gewesen.
Diesen Schritt ersparte sich unser Direktor. - Der zweite Schritt wäre das Design eines geeigneten Weges gewesen. Auf ihrer Grundlage hätte eine Strategie entstehen können.
Auch dieses Element übersprang der Direktor. - An dritter Stelle hätten Überlegungen für Elemente der taktischen Umsetzung angestellt werden müssen. Dazu gehören Fragen wie die Einpassung in die geltende Struktur des Narrativs, Erhaltung der Würde des Einzelnen, gerade in der Veränderung, Erzeugung von Aufbruchstimmung, etc.
Wäre der Direktor erst danach in die Umsetzung gegangen, dann hätte die Umstellung mit großer Wahrscheinlichkeit ohne größere Probleme über die Bühne gehen können. So aber ersparte er sich all das und versuchte den Weg abzukürzen. Die dabei verwendete Sprache verstand er zwar selbst, nicht aber seine Mitarbeiter. Sein Scheitern war somit vorprogrammiert.
In der Realität erweist sich das Narrativ als der entscheidende Faktor für Gelingen oder Scheitern jeder Veränderung. Vermeintliche Abkürzungen führen regelmäßig zu Missverständnissen, Widerständen und nicht zuletzt zu hohen Kosten und Verlust der Führungswirkung. Behutsames und reflektiertes Vorgehen hingegen kostet anfangs mehr Zeit und Überlegung. Insgesamt ist es aber schneller, spart Kosten und Nerven aller Beteiligten und vor allem: es führt zum Ziel!